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Reibungslose Abwicklung internationaler Nachlassangelegenheiten
Mit einer wachsenden Mobilität der Weltbevölkerung kommt es nicht selten vor, dass der Bürger eines Staates seinen Wohnsitz in einem anderen Land hat als in dem Land, dem er angehört. Nach den aktuellsten Einschätzungen (2021) des britischen Statistikamtes, des Office for National Statistics, wohnen derzeit 135.000 deutsche Staatsbürger in dem Vereinigten Königreich. Für den deutschen Auswanderer kann es Probleme geben, wenn das Recht seiner Staatsangehörigkeit mit dem Recht seiner neuen Heimat kollidiert. Das gilt besonders im Falle des Erbrechts.
Wenn ein Deutscher in England verstirbt und Nachlassgegenstände hier hinterlässt bzw. ein Engländer in Deutschland ums Leben kommt, zu dessen Nachlass Vermögensgegenstände gehören, die sich in der Bundesrepublik befinden, sprechen wir von einem Erbfall mit Auslandsbezug. In solchen Fällen gilt zunächst das anwendbare Recht zu ermitteln, nach dem sich die Rechtsnachfolge von Todes wegen bestimmt (das sog. Erbstatut).
Als Versuch die kollisionsrechtlichen Probleme in grenzüberschreitenden Erbfällen auf internationalem Niveau einheitlich zu lösen, wurde vor kurzem eine europäische Erbschaftsverordnung (Nr. 650/2012 vom 4. Juli 2012, kurz: EU-ErbVO) erlassen. Die Regelungen der EU-ErbVO gelten aber nur für Todesfälle, die nach dem 17. August 2015 eingetreten sind, und finden auf deutsch-britische Erbfälle nur beschränkte Anwendung, weil das Vereinigte Königreich die Verordnung nicht adoptiert hat.1
Erfahren Sie mehr über die europäische Erbschaftsverordnung (Nr. 650/2012 vom 4. Juli 2012)
Ermittlung des anwendbaren Rechtes in deutsch-britischen Erbfällen
Leider ist die Ermittlung des Erbstatuts nicht immer einfach und hängt von vielen Faktoren ab, wie z.B. dem Todeszeitpunkt, dem Belegenheitsort von Nachlassgegenständen oder der Staatsbürgerschaft bzw. dem gewöhnlichen Aufenthalt des Verstorbenen. Es empfiehlt sich daher, sich umfassend beraten zu lassen. Für erbschaftsrechtliche Fragen mit ausländischem Bezug stehen unsere Notare Ihnen sehr gerne zur Verfügung. Folgende Grundsätze geben dennoch einen Überblick, wie das englische Recht mit der Ermittlung des Erbstatus umgeht.
Ist eine Zuständigkeit des englischen Gerichtes gegeben, was i.d.R. der Fall sein wird, wenn sich Nachlassgegenstände hier befinden, hat das Gericht dann zu prüfen, welches Recht Anwendung findet. Dabei stützt sich das Gericht auf die über Jahrhunderte richterrechtlich entwickelten Prinzipien des englischen internationalen Privatrechtes (IPR) und die Doktrin der Nachlassspaltung.
Nach englischem IPR kommt es in erster Linie darauf an, ob man mit beweglichem oder unbeweglichem Vermögen zu tun hat. Bei unbeweglichen Gegenständen bestimmt sich das Erbstatut aus Sicht des englischen IPR nach dem Belegenheitsort der Sache (§ 131 Dicey & Morris/Conflict of Laws, 15. Auflage). Für bewegliches Vermögen ist das Domizil des Erblassers maßgebend (§ 130 Dicey & Morris a.a.O.).
Achtung! Das Domizilprinzip ist im deutschen Recht unbekannt und darf daher keinesfalls mit den scheinbar verwandten Begriffen “Wohnsitz” oder “gewöhnlicher Aufenthalt” verwechselt werden. Eine zwingende Verbindung zwischen Domizil und Staatsangehörigkeit muss es auch nicht geben.
Es ist zu unterscheiden zwischen drei Arten von Domizil:
- domicile of origin (Abstammungsdomizil): Ein Kind erwirbt kraft Gesetzes das Domizil seines Vaters (wenn die Eltern am Tage des Geburts verheiratet waren) bzw. seiner Mutter (wenn die Eltern zu diesem Zeitpunkt nicht verheiratet waren oder der Vater bereits vorverstorben ist).
- domicile of dependence (Abhängigkeitsdomizil): Bis zum Eintritt der Volljährigkeit ändert sich das Domizil eines Minderjährigen nach der dessen Vaters (oder dessen Mutter, wenn die Eltern sich scheiden lassen und das Kind bei der Mutter wohnt). Nach Erreichung der Volljährigkeit wandelt sich das Abhängigkeitsdomizil in eine Wahldomizil um.
- domicile of choice (Wahldomizil): Ein Erwachsener kann sein Abstammungsdomizil verdrängen, indem er sich anderswo niederlässt und beabsichtigt, dort dauerhaft zu bleiben. Der Beweislast obliegt demjenigen, der sein Domizil ändern will. Bis dato wurden aber strenge richterliche Anforderungen an den Nachweis einer Änderung gesetzt.
Kommt das Gericht zu dem Ergebnis, dass das Domizil des Erblassers außerhalb England und Wales liegt, heißt es längst nicht, dass das ermittelte Domizilrecht auf die Erbfolge anzuwenden ist. Denn das englische IPR folgt der sog. foreign court theory bzw. der Doktrin der Gesamtverweisung, wonach sich der englische Richter in die Sichtweise des ausländischen Richters hineinzuversetzen hat (Re Annesley [1926] Ch 692; Re Duke of Wellington [1947] Ch 506), um das Erbstatut zu bestimmen. In anderen Worten versucht das englische Gericht, das anwendbare Erbrecht aus der Perspektive des ausländischen Rechtes inklusive dessen IPR-Normen zu ermitteln. Folgendes Beispiel verdeutlicht die Anwendung der foreign court theory.
Fallbeispiel: Ein Deutscher stirbt am 1.1.2015 in London und hinterlässt dort ein Bankkonto mit 50.000 GBP Guthaben
Annahmen: Der Verstorbene war deutscher Staatsbürger mit deutschen Eltern, die zum Zeitpunkt seines Geburts verheiratet waren und in Deutschland lebten. Er hat kein Testament bzw. letztwillige Verfügung errichtet und somit keine Rechtswahl getroffen. Er zog erst zwei Jahre vor seinem Tod nach England um.
Das Bankguthaben ist bewegliches Vermögen. Wie bereits oben aufgeführt richtet sich die Rechtsnachfolge zu beweglichen Gegenständen gemäß englischem IPR nach dem Domizilprinzip (§ 130 Dicey & Morris, a.a.O.). Aus der Sachlage geht hervor, dass der Erblasser von seinem deutschen Vater vermutlich ein deutsches Abstammungsdomizil erworben hatte. Ob er mit seinem Zuzug nach England sein Abstammungsdomizil verdrängen konnte und dieses mit einem englischen Wahldomizil ersetzt hat, ist nicht klar.2 Wenn ja, gibt es keine Verweisung auf das deutsche Recht – das Erbstatut entspricht dem Domizilrecht, also daher das englische Recht. Wenn nein, kommt es doch zu einer Verweisung und der englische Richter muss sich in die deutsche Rechtslage hineindenken. Dass der Todesfall vor dem 17.08.2015 eingetreten ist, lässt sich das anwendbare Recht anhand Art. 25 Abs. 1 EGBGB a.F. ermitteln, da die foreign court theory eine Berücksichtigung des ausländischen IPR auch vorsieht – es gilt deutsches Recht, weil der Verstorbene über die deutsche Staatsbürgerschaft verfügte.
Wäre der Erblasser nach dem 17.08.2015 gestorben (also nach Inkrafttreten der EU-ErbVO), hätte die Lösung ganz anders sein können. Das englische Gericht hätte in diesem Fall die neue Fassung von Art. 25 Abs. 1 EGBGB anwenden müssen, die auf die Bestimmungen der EU-ErbVO verweist. Da keine Rechtswahl getroffen wurde, ist Art. 21 Abs. 1 EU-ErbVO ausschlaggebend. Danach richtet sich das Erbstatut nach dem gewöhnlichen Aufenthaltsort des Erblassers. Angenommen, dass dieser Ort England war, kommt es seitens des deutschen Gerichts zu einer Verweisung auf das englische Recht (und zwar nicht nur das englische Sachnormrecht sondern auch dessen IPR gemäß Art. 34 Abs. 1 lit a. EU-ErbVO). Das englische Recht beurteilt den Fall dann nach dem oben beschriebenen Domizilprinzip und weist ggf. wiederum auf das deutsche Recht zurück (wenn das deutsche Abstammungsdomizil nicht verdrängt wurde)!
Um den resultierenden Teufelskreis zu durchbrechen, hat das englische Gericht zu prüfen, ob seine Rückverweisung nach deutschem Recht angenommen wird, was hier zu bejahen ist (Art. 4 Abs. 1 S. 2 EGBGB). Wegen der Besonderheiten der foreign court theory führt diese Annahme durch die ausländische Rechtsordnung zu einer Anwendung englischen Sachnormrechts als Erbstatut mit der Begründung, dass das ausländische Recht anscheinend bereit ist, eine Entscheidung gemäß englischem Erbstatut zu akzeptieren, sonst hätte es von vornherein nicht auf die fremde Rechtsordnung verwiesen (Re Ross [1930] 1 Ch 377; Casdagli v. Casdagli [1919] AC 145)!
Haben Sie das Erbstatut zu ermitteln? Brauchen Sie Hilfe mit der Abwicklung eines deutsch-britischen Erbfall? Unsere Notare beraten Sie gerne.
Fußnoten:
1. Großbritannien hat sich das Recht vorbehalten, die EU-ErbVO zu einem späteren Zeitpunkt umzusetzen. Die Wahrscheinlichkeit, dass das Land diese Option tatsächlich ausüben wird, ist jedoch nach dem Brexit-Votum äußerst gering. ↩
2. In der Praxis kann nur das Gericht dies unter Berücksichtung aller relevanter Umstände beurteilen. ↩